Sylvester 2022

Sylvester – üblicherweise auf unserer Seite der Zeitpunkt, an dem Salli das letzte Jahr Revue passieren lässt. Heute habe ich die Hand gehoben und möchte Euch zu diesem Rückblick einladen. Schade, wird der ein oder andere denken, denn Sallis Texte lesen sich einfach toll und auch ich freue mich normalerweise schon auf die Veröffentlichung, aber in diesem Jahr ist es mir wichtig, selbst zu schreiben. Dieses Jahr hat für mich gravierende Einschnitte gebracht, an denen ich Euch gerne teilhaben lassen möchte.

Wer mich kennt, kennt mich vermutlich als jemanden, der macht, für andere da ist, alles schon irgendwie hinbekommt. Anders in diesem Jahr. Im Sommer bin ich „plötzlich“ zusammen gebrochen, mein ganzes Ich (Körper und Geist) wollte nicht mehr, ließ mich nur noch weinen und um Hilfe rufen. Was war passiert?

Um das zu verstehen, muss ich etwas ausholen. Etwas, das ich in diesem Jahr gelernt habe: Es sind nicht die einzelnen Erlebnisse oder Begebenheiten, die ausmachen, wie es Dir geht. Viele Dinge wirken nach und wirken sich erst zusammen mit anderen aus.

Rückblickend waren insbesondere die letzten fünf Jahre herausfordernd. Zusätzlich zu drei Jahren Pandemie mit allen bekannten Einschränkungen und dem Krieg in der Ukraine gab es eine ganze Reihe prägende persönliche Erlebnisse:

2018 begann mit Mimis Trächtigkeit. Unser E-Wurf war unterwegs und die Freude darauf groß. Kurz vor der Geburt musste ich noch schnell ins Krankenhaus und eine Zyste entfernen lassen. Nichts Großes, aber irgendwie fing damit gefühlt alles an. Die Geburt des E-Wurfs zog sich, wir machten uns zwischenzeitlich große Sorgen um Mimi, die bei ihrem dritten Wurf einfach keine Wehen bekommen wollte. Am 64.Tag folgte dann der Kaiserschnitt und wir durften unsere wundervollen E’s ins Leben rubbeln. Bereits im Juni dann die nächste Sorge um Mimi. Sie hatte sich einen riesigen Blasenstein zugezogen, der operativ entfernt werden musste. Im Juli merkte ich, dass mein eigener Gesundheitszustand sich deutlich verschlechterte. Mir wurde bewusst, dass ich bereits während des Wurfes Verdauungsprobleme hatte, aber wie das so ist, steckt man einiges weg. Der Fokus lag einfach auf Mimi und den Welpen. Jetzt verschlimmerte sich aber alles und ich suchte einen Arzt auf. Die Untersuchungen zogen sich bis in den August, bis bei einer Spiegelung festgestellt wurde, dass da in meinem Darm nichts mehr so funktionierte, wie es eigentlich sein sollte. Ich hatte Darmkrebs und musste möglichst schnell operiert werden. Zu diesem Zeitpunkt lag Salli mit einem heftigen Bandscheibenvorfall im Krankenhaus. Er entschied sich sofort zu einer OP, um schnellstmöglich wieder auf den Beinen und für die Mäuse da sein zu können, während ich ins Krankenhaus ging. Damals machten die Ärzte mir große Hoffnung, dass der Krebs mit der OP entfernt und erledigt sein würde. Dies war leider nicht der Fall. Der Krebs hatte gestreut und einige Lymphknoten befallen, so dass die Ärzte mir dringend zu einer anschließenden Chemotherapie rieten. Der Port wurde gesetzt und zwölf mal Chemotherapie alle 14 Tage für 3 Tage startete. Chemotherapie ist nie harmlos, aber man versicherte mir, dass diese Form der Therapie wenig bis keine Nebenwirkungen hätte. Die Realität sah anders aus. Ich hab so ziemlich alles an Nebenwirkungen mitgenommen, was möglich war: Neuropathien im Mund, den Händen und Füßen, heftigste Übelkeit samt Erbrechen, schwere Durchfälle… Alles in allem ein ziemlicher Kontrollverlust, der zunächst große Panik bei mir auslöste. Mit Sallis Hilfe gelang es mir aber, damit umzugehen und insgesamt relativ gut durch die Chemotherapie durchzukommen.

So dachte ich Anfang Mai 2019 auch, dass es kein Problem sei, direkt wieder Vollzeit meiner Arbeit nachzugehen. Ich versuchte achtsam zu sein, habe mir aber leider überhaupt keine Vorstellung gemacht, wie stark ich darauf geprägt war, einfach zu funktionieren und Anerkennung für Arbeit zu bekommen. Die Auswirkungen habe ich erst in vollem Ausmaß in diesem Sommer gespürt. Leider gab es während der Chemo keine Möglichkeit, psychologische Hilfe zu bekommen. Das hätte sicher geholfen. So funktionierte ich weiter und merkte nicht, welchen Weg ich ging.

Anfang 2019 mussten wir während all dieser Behandlungen auch noch unseren Justin gehen lassen. Dann im Spätsommer ging es Salli immer schlechter. Wir dachten, es wäre „nur“ ein weiterer Bandscheibenvorfall, aber verdeckt hatte sich eine schwere beidseitige Lungenembolie eingeschlichen. Salli wurde mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus und dort auf die Intensiv-Station gebracht. Man ließ ihn nicht mehr aus den Augen, er wurde beatmet. Es wurde abgewogen zwischen gefährlicher medikamentöser Behandlung oder Operation. Man entschied sich gegen die OP und für die medikamentöse Behandlung. Es folgten bange Stunden, dann die erlösende Nachricht: Das Medikament hatte angeschlagen und die Embolie aufgelöst. Das war ein unbeschreibliches Gefühl!

Leider folgte aber bereits während Sallis Krankenhausaufenthalts der nächste Tiefschlag: Ich musste Smilla auf ihrem letzten Weg begleiten. Salli konnte sich von seiner geliebten Smilla nicht einmal verabschieden. Aber sie hatte mir deutlich gezeigt, dass der Zeitpunkt gekommen war.

In 2020 dann Anfang des Jahres die Nachricht, dass drei Deckrüden aus Holland ein neues Zuhause suchten, nachdem der Züchter verstorben war. Wir unterstützten unsere Freundin Manuela bei der Unterbringung der Rüden im Tierheim Horb. Im Februar kurz vor dem Beginn des Lockdowns konnte ich unsere Freunde Uschi und Jürgen ins Auto laden und mit  ihnen nach Horb am Neckar fahren, um die drei Jungs kennenzulernen und Ysbrand, jetzt „Toni“ zu den beiden in sein neues Zuhause zu bringen. Lose Enden zu verknüpfen ist ein sehr schönes Gefühl. Toni lebt inzwischen fast drei Jahre bei den beiden, wird im April 15 Jahre alt und genießt das neu gewonnene Familienleben.

Im Sommer ging es plötzlich Mimi sehr schlecht und wir suchten sicherheitshalber den Tierarzt auf. Sie hatte erneut Blasensteine und eine Pyometra. Beides musste sofort operiert werden. Gott sei Dank ist Mimi eine absolute Kämpferin!

Im März 2021 dann der Anruf, dass unser Emmett abgegeben werden soll.  Die Aufregung war groß, wussten wir ja nicht, wie Emmett sich hier bei uns integrieren würde. Die Geschichte kennt Ihr als Leser unserer Seite. Die Rückkehr Emmetts war eines der größten Geschenke, die wir bekommen haben. Wir sind unendlich dankbar, dieses zauberhafte Wesen bei uns zu haben.

Kurz nach Emmetts Rückkehr verletzte sich Mimi schwer und das folgende halbe Jahr war davon geprägt, sie von den anderen fernzuhalten, damit sie nicht spielt, und mit ihr die regelmäßigen Arztbesuche und Physiotherapiestunden durchzuführen. Ich habe nicht im Traum geglaubt, dass es Mimi wieder so gut gehen würde, wie das inzwischen der Fall ist. Sie hat sogar wieder Spaß am Mantrainling, von der Freude am Spiel vor allem mit ihrem Sohn ganz zu schweigen.

2021 brachte außerdem vor allem große persönliche Enttäuschungen: Freunde, die keine Freunde waren und sich überhaupt nicht für meine, bzw. unsere Sicht der Dinge interessierten. Bei einzelnen Menschen passiert das ja immer mal. Wenn aber gleich ein ganzer Freundeskreis so agiert, tut das sehr weh. Wenn dann auch keine Gespräche möglich sind… In so einer Situation sieht man schnell, wer die wirklichen Freunde sind. Auch diese gibt es und wir sind dafür überaus dankbar!

Ja, und dann kam 2022. Gleich zu Beginn des Jahres der Ukrainekrieg. Ich finde ehrlich gesagt keine angemessenen Worte für die armen Menschen dort. Das alles ist so unfassbar und ich hoffe sehr, dass es bald eine friedliche Lösung gibt!

Für mich brachte das Jahr im Mai bei einer Routine-Untersuchung die Diagnose „Verdacht auf ein Teratom am Eierstock“. Genaueres konnte man auch nach einem MRT nicht sagen. Bis zur wirklichen Entwarnung nach erfolgter OP und Histo vergingen gut zwei Monate. Vielleicht könnt Ihr Euch zumindestens ein bisschen ausmalen, was das in mir mit meiner Vorgeschichte ausgelöst hat. Während der Wartezeit war ich dann noch zur Regel-Untersuchung in der onkologischen Praxis, in der auch die Chemo stattgefunden hat. Ich bildete mir ein, dass mir das alles nichts ausmachen würde. Aber dann folgte der Zusammenbruch.

Warum erzähle ich Euch das alles?

Ich durfte in den letzten Monaten lernen, wie wichtig es ist, auf mich selbst und in mich selbst hineinzuhören. Wirklich achtsam mit mir selbst umzugehen. Mir auch selbst einzugestehenden, in welcher Weise Menschen und Erlebnisse mich in meinem bisherigen Leben geprägt und konditioniert haben und dabei den Weg zu mir selbst verbaut haben, weil ich es zugelassen habe. Ich muss nicht funktionieren, um Anerkennung zu bekommen. Ich darf Fehler machen und sie mir und anderen eingestehen und ich darf daraus lernen. Und das Schönste daran: Menschen, die mich lieben, tragen genau dieses mit, weil sie mich lieben und an mir interessiert sind.

Danke, mein Schatz, dass es Dich gibt und Du dieses Leben mit mir lebst! Danke für all Deine Geduld und Dein Ertragen in den letzten 27 Jahren!

Euch allen da draußen wünsche ich von ganzem Herzen ein friedvolles, glückliches Jahr 2023 mit vielen achtsamen Momenten für Euch selbst!

Tina

4 Kommentare

  1. Puh, das waren wirklich besonders heftige Jahre für euch. Da weiß man gar nicht, was man sagen soll … Gut, dass du jetzt Hilfe hast!

    Auch mein Mann und ich haben schlimme Zeiten (gesundheitlich) hinter uns (Leukämie, Brustamputationen, Hautkrebs, auch 2 Bandscheiben-OPs) und man kann sich in diesen Situationen nicht vorstellen, dass das Leben jemals wieder NORMAL wird. Doch das WIRD ES! Der Geist ist stärker, als man sich vorstellen kann! Und plötzlich wacht man auf und merkt, es ist wieder gut! Kopf hoch, es WIRD!

    Liebe Grüße aus Wien! Ihr seid sooo toll, du und dein Salli! (Und eure Hunde, selbstverständlich. )

  2. Liebe Tina,
    wenn man das alles so im Zusamenhang liest, dann verwundert es, dass du so lange funktioniert hast. Bitte achte nun auf dich, es gibt viele Menschen, die dich brauchen und wenn es nur für ein kurzes „Hallo“ ist. Und wenn du mal um Hilfe schreien willst, dann darfst du auch gerne mich anschreien.
    Liebe Grüße und ich wünsche dir, dass es ab jetzt nur noch aufwärts geht.
    Susanne

  3. Ich wünsche Euch ein wunderschönes und gesundes neues Jahr. Ich war sehr bewegt beim Lesen, da ich meine Schwester im November an den Krebs verloren habe und selbst im Jahre 2000 einen Tumor hatte. Ich fühle mich geehrt neue Freunde gefunden zu haben, die mich aufgefangen haben.

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