Und weiter geht’s
Der Harz und ich – II
Eine Geschichte, die im Wirtschaftswunder beginnt und deren Ende ich noch schreiben muss
Nicht allzu lang nach unserem ersten Besuch bei meiner alten Liebe schnappten wir uns unsere beiden Kooiker und fuhren wieder in den Harz. Kaum angekommen, wurde ich wieder von dieser seltsamen Kraft in den Wald gezogen und ehe wir uns versahen, wanderten wir mit zwei Kooikern an der Leine auf einem sanft ansteigenden Weg durch den lichtdurchfluteten Wald. Ich hatte einige meiner Erinnerungen geordnet und so langsam wurde mir klar, wie viel Zeit ich als Kind wirklich in diesem schönen Mittelgebirge verbracht hatte.
Ich hatte schon in der Geschichte von „Granny’s Rose“ davon geschrieben, dass mein Vater selbständig war und sein Geld mit chemischen Zusätzen für Beton und ähnliches verdiente. Viel Urlaub konnten meine Eltern damals nicht machen, denn es war schließlich nicht planbar, wann „Schlecht-Wetter“ war und die Bauarbeiten ruhten. Also fuhren meine Eltern regelmäßig in den Harz, im Gepäck zwei Camping-Liegen, einige Decken, etwas Proviant und ab 1965 ihren Sohn, nämlich mich.
Aber auch das hatte eine Vorgeschichte und bevor ich irgendetwas Wichtiges vergesse, will ich auch davon berichten:
Mein Vater war ja nun etwas „Hals-über-Kopf“ nach dem Krieg in Braunschweig angekommen, hatte einen Unterschlupf bei seinem Lazarett-Kollegen Otto gefunden und über kurz oder lang auch dessen Nichte, meine spätere Mutter kennengelernt. Es war wohl Anfang der fünfziger Jahre, als sich zwischen den beiden etwas anbahnte, meine Mutter war damals knapp über zwanzig, mein Vater immerhin fünfzehn Jahre älter. Heute ist es völlig normal, wenn Paare in der Öffentlichkeit knutschen und über Sexualität wird offen gesprochen, aber damals …
… waren das, was man tat und das, was in der Öffentlichkeit geduldet wurde, zwei völlig unterschiedliche Paar Schuh‘. Da haben wir also eine überaus konservative Gesellschaft und die Tatsache, dass es strafbar war, unverheirateten Pärchen die Gelegenheit zur …
Ach was, schauen wir einfach mal auf den ehemaligen § 180 StGb:
(1) Wer gewohnheitsmäßig oder aus Eigennutz durch seine Vermittlung oder durch Gewährung oder Verschaffung von Gelegenheit der Unzucht Vorschub leistet, wird wegen Kuppelei mit Gefängnis nicht unter einem Monat bestraft; auch kann zugleich auf Geldstrafe, auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte sowie auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann die Gefängnisstrafe bis auf einen Tag ermäßigt werden.
Das galt auch für Eltern von Erwachsenen! Und was genau Unzucht war, darüber ließ sich trefflich streiten. Und da mein Großvater ein ehrlicher, gradliniger und rechtschaffener Mann war, schaute er meine Mutter und meinen Vater einmal ordentlich böse an und schon waren die Fronten geklärt.
Gut dreißig Jahre und einige Gesetzesänderungen später haben eben diese anfänglichen Schwierigkeiten einen recht positiven Einfluss darauf gehabt, wie meine Eltern mit ihrem pubertierenden Sohn und den damit unvermeidlichen Entwicklungen umgegangen sind. Auch dafür, ein großes Danke!
Zurück in die Fünfziger und die Zeit der Doppelmoral, die bei meinen Eltern zu einer recht großen Begeisterung für die Natur führte. Man brauchte nämlich eigentlich nur ein Auto, vielleicht noch ein kleines Zelt und eine Gegend, in der nicht so viel los war und schon konnte man dem Mief der „guten alten Zeit“ entfliehen, insbesondere zu zweit. Und so fuhren meine späteren Eltern am Freitagnachmittag in den Harz und kamen meistens erst am Sonntagabend zurück. Anfangs stieg das Fräulein Kaese noch in einiger Entfernung von ihrem Elternhaus aus dem Wagen meines Vaters, aber mein Opa war schließlich nicht auf den Kopf gefallen, und so wurde der anschließende Fußweg für meine Mutter immer kürzer.
In meiner Kindheit habe ich viel Zeit im Harz verbracht. Außer dem Geruch und dem Rauschen der Wälder hat sich aber noch etwas anderes in meine Erinnerung gebrannt: Die tief empfundene Liebe meiner Eltern zueinander und die Liebe zu den Plätzen, an denen sie sein durften, was sie waren: Ein frisch verliebtes Paar.
Lieber Mathias, Salli! Es ist wieder sooo schön deine Geschichten von früher zu lesen. Ich freu mich auf die Forführung. Du bist so ein wunderbarer Erzähler.
Liebe Grüße aus Ahlen,
Silke und der Rest der Familie