Kapitel IV

[one-half][dropcap]M[/dropcap]itte Oktober 1944 stand Aachen als erste deutsche Großstadt an der Westfront kurz vor der Eroberung. Die Ostfront verlief ungefähr von Ostpreußen bis nach Budapest.

SKATE-Befehl_No.5-Bomber-Group_14._Oktober_1944Am Abend des 14. Oktober 1944 starteten 233 schwere Bomber der Royal Air Force No. 5 Bomber Group mit dem Ziel Braunschweig. Jeder dieser Bomber trug eine Bombenlast von ungefähr sechs Tonnen. Sie starteten in Waddington, East Krikby und Coningsby. Die Bomber umflogen das stark durch Flak gesicherte Ruhrgebiet im Süden und drehten über Paderborn in Richtung Hannover. Gegen
1 Uhr 40 am Morgen des 15. Oktober begann der Angriff auf Braunschweig. Der Tag ging als „Tag des Untergangs des alten Braunschweig“ in die Stadtgeschichte ein und hätte zigtausend Opfer fordern können.

Aufgrund der besonderen Technik der Bombardierung entstand ein Feuersturm, der die Altstadt völlig verbrannte, aber auch vielen Braunschweigern in Kellern und Bunkern keine Chance ließ. Die, die nicht verbrannten, erstickten, weil das Feuer den gesamten Sauerstoff der Luft verbrauchte.

In dieser Nacht schaffte es der Leutnant der Braunschweiger Feuerschutzpolizei Rudolf Prescher eine Wassergasse zu bilden, um 23.000 Braunschweigern, die vom Feuersturm eingeschlossen waren, die Flucht aus dieser Hölle zu ermöglichen. So hielten sich die Opferzahlen in Grenzen.

Bis zum frühen Morgen standen mein Großvater und meine Mutter in unserem Garten. Der Himmel war blutrot und beiden war klar, welches Grauen sich nur wenige Kilometer von ihnen entfernt abspielte.Braunschweig15101944[/one-half][one-half last]

thiedebacherweg8u9Knapp neun Monate zuvor, am 30. Januar 1944 war Leiferde (heute ein Ortsteil von Braunschweig) getroffen worden. Eigentlich waren die Bomben Überbleibsel aus der Bombardierung der Herrmann-Göring-Werke in Salzgitter und weil in unserem Dorf ein kleiner Verladebahnhof und ein unbedeutender Verkehrsknotenpunkt der Eisenbahn war, fielen etwa 200 Bomben auf dieses kleine Dorf. Das Dorfzentrum samt Schule wurde vernichtet, das Nachbarhaus meiner Großeltern schwer beschädigt und das nächste Haus in unserer Straße dem Erdboden gleichgemacht. Wie durch ein Wunder gab es nur 20 Todesopfer.

Etwa ein Jahr zuvor war mein Vater von einem Granatsplitter getroffen worden. Noch wenige Wochen zuvor hatte er auf Sizilien am Strand gesessen und abwechselnd das schöne Meer und den Rauch und Feuer spuckenden Ätna bewundert, als bekannt wurde, dass die Alliierten kurz vor der Besetzung Italiens standen. Also wurden alle Sachen zusammengesammelt und samt dem hochkomplexen Radargerät und den Antennen auf LKWs verpackt und schleunigst der Weg in Richtung Norden angetreten. Irgendwo in der Toskana passierte es dann. Mörserbeschuss und ein Fast-Treffer. Der LKW war hin, mein Vater blutete, also alles auf einen anderen LKW verladen und weiter in Richtung Österreich.

Kurze Zeit später lag mein Vater im Lazarett in Traunstein und erholte sich von seiner Verwundung und den Strapazen der Flucht. Die Genesung ging offiziel sehr langsam von statten, was weniger an der Schwere der Verwundung lag, als an der Fähigkeit meines Vaters fast alles, aber vor allem Radiogeräte zu reparieren und zu manipulieren. Während dieser relativ ruhigen und erholsamen Zeit feundete sich mein Vater mit einem verletzten Kameraden besonders an, er hieß Otto und kam aus Braunschweig.

Aber irgendwann endete die schöne Zeit in Traunstein und mein Vater wurde nach Ostdeutschland verlegt. Hier sollten mit Hilfe der Funkmesstechnik (so nannte man das Radar damals) vor allem rüstungswichtige Standorte früh genug über anfliegende Flugzeuge informiert werden. Schaffte man dieses, konnten die Standorte großräumig eingenebelt werden. Die mobilen kleinen Radargeräte mit geringer Reichweite wurden jetzt durch ortsfeste Geräte mit großen Antennenfeldern abgelöst.

Aber die ganze Technik half wenig. Eine wunderschöne Stadt nach der anderen ging in Flammen auf, Millionen Menschen verloren ihr Zuhause, wurden schwer verletzt, traumatisiert oder getötet.

Nein, einen Krieg kann man nicht gewinnen![/one-half]

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