Worüber man auch berichten muss …

oder: Wenn Tiere leiden müssen, damit Menschen sich besser fühlen.

Es ist eine wenig bekannte psychische Störung beim Menschen, die Kinder und Haustiere zu Opfern werden lässt. Das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom (engl. Muenchhausen by Proxy Syndrom) zählt zu den artifiziellen psychischen Störungen. Die Bezeichnung prägte 1951 der Londoner Psychiater Sir Richard Asher (1912–1969) nach dem Baron Münchhausen, dem „Lügenbaron“. Bezeichnet wird dadurch ein Verhalten, bei dem Aufmerksamkeit wie z.B. Mitleid und Anteilnahme dadurch erzeugt wird, dass man nicht selbst vorgibt krank zu sein, sondern dieses bei einem Stellvertreter tut, z.B. dem eigenen Kind oder einem Haustier. In den meisten Fällen werden nach den ersten Arztbesuchen auch Versuche unternommen, das Kind oder Haustier im Sinne der zuvor vorgebrachten Symptome zu schädigen, sei es durch Vergiftung oder Ähnliches.

Vor allem im englischsprachigen Raum wird diese Störung inzwischen sehr genau untersucht und Tierärzte decken immer häufiger Fälle auf, in denen Haustiere von ihren Besitzern gesundheitlich geschädigt werden. Das perfide an dieser psychischen Störung ist, dass die Täter gerade durch ihre liebevolle Fürsorge, ihre hohen Ausgaben für Tierarztkosten und die angebliche persönliche Betroffenheit einen psychischen Gewinn aus ihren Taten ziehen. Sie bekommen die gewünschte Aufmerksamkeit in Form von Mitleid und Ähnlichem. Schon im Jahre 2002 gaben 1000 dazu befragte Tierärzte an, dass „(…) bei etwa 2% dieser Vorfälle der begründete Verdacht einer bewußten Schädigung (Verletzung, Vergiftung) durch den Tierbesitzer bestand.“ (Quelle: aho, Animal health online)
Die Dunkelziffer dürfte höher sein, die Mortalitätsrate nahe 100% und oft wird nach dem Tod eines Hundes ein weiterer angeschafft und das Ganze geht wieder von vorne los. Natürlich wird dann im Tierheim oder beim Züchter die herzergreifende Geschichte erzählt, wie viel man doch gegeben hat, um dem verstorbenen Tier zu helfen, und wie schwer es war, „das geliebte Tier in den Tod zu pflegen“. Den meisten Züchtern dürfte bei derlei Geschichten das Herz aufgehen und man gibt den Welpen mit gutem Gewissen ab.

Ob die Opfer nun Kinder oder Haustiere sind, die Täter sind zu weit über 95% Frauen. Meist sind sie unter 30 und verfügen über medizinisches Grundwissen oder üben sogar einen nicht-akademischen, medizinischen Beruf aus, wie z.B. Krankenschwester oder (Tier-)Arzthelferin.

Ein kanadischer Tierarzt beschreibt überdeutlich wie angenehm ihm die Besitzerin seines Patienten gewesen sei. Endlich ein Mensch mit dem man eine gemeinsame Sprache spricht, scheinbar um das Tierwohl besorgt, kein Weg zu weit, keine Untersuchung oder Behandlung zu teuer. Erst sehr spät erkannte der Tierarzt die wahren Hintergründe. Die Leiden des Tiers wurden von der Besitzerin hervorgerufen und gerade die Aufmerksamkeit, die der Frau durch die „angenehmen“ Gespräche zuteil wurden, waren der Grund, warum das Tier leiden musste.

In einem Artikel des „Daily Record“  wird beschrieben, wie eine Tierarzthelferin ihren Cockerspaniel wiederholt mit Insulin vergiftet hat. Der Hund hätte aufgrund dessen unter heftigen Krampfanfällen sterben oder ins Koma fallen können. Es dauerte eine Weile bis die Sache aufflog, denn als Blutproben zum Labor eingeschickt werden sollten, verweigerte die Besitzerin dieses. Erst als die Tierärzte, bei denen die junge Frau als Tierarzthelferin arbeitete, immer stärker darauf drängten, bot sie sich an, als Botin zu fungieren. Natürlich kamen die Blutproben nie an, wie die Tierärztin, die den Hund behandelte angab:

Mrs Herd said: “Initially she didn’t want any bloods taken to the vet school, then agreed it was really the only way forward if we were going to find out what was going on. She volunteered to take the blood to the vet school. Later I found out the blood had never arrived at the vet school.”

Die Ärzte in der Tierklinik wurden irgendwann misstrauisch und an einem Abend, an dem die junge Frau eigentlich frei hatte, bestätigte sich der Verdacht. Mrs. Herd sagte dazu vor Gericht aus, dass das Muster des Auftretens von Symptomen und die niedrige Glukose-Konzentration im Blut des Hundes (Florence) sie misstrauisch gemacht hatte. Sie beschrieb die junge Frau als „ziemlich aufmerksamkeitssuchend“ und sagte ihrem Partner gegenüber voraus, dass der Hund an diesem Abend mit Symptomen eingeliefert werden würde. Es kam der Verdacht auf, dass auch bei den vorangegangenen „Erkrankungen“ dem Hund Insulin verabreicht worden war.

On one occasion her employer at the private clinic gave Bretman an evening off – then correctly predicted that, within a few hours, the dog would suddenly become ill and be brought back to the surgery requiring emergency treatment.

(…) She told the court: “Because of the pattern of collapse and low blood glucose on each occasion and the fact that the dog was normal between episodes, I was suspicious insulin had been administered to the dog.”

The court heard that on an evening Bretman was given off work in June 2013, Flo collapsed and they had to come in for treatment.

She described Bretman as “quite attention seeking” and added: “I had said to my partner she will find an excuse to come in to the clinic because she’s not happy about having the night off and I said ‘I bet Flo collapses tonight’, and it did happen.”

Und so kam die junge Frau mit ihrem Cockerspaniel in die Praxis, der Hund wurde genau untersucht und der Fall an die SSPCA (Scottish Society for the Prevention of Cruelty to Animals) gemeldet. Letztendlich wurde Georgina Bretman vor Gericht (Glasgow Sheriff Court) gestellt und vernommen. Bretman leugnete die Anklage und sagte, dass sie nicht verantwortlich sei und nur herausfinden wollte, was mit Flo nicht stimmt.

Es wurde ihr vorgeworfen: „Man könnte annehmen, dass du den Hund nicht magst, deshalb hast du ihr wehgetan.“ Bretman entgegnete: „Überhaupt nicht, ich habe eine Menge investiert. Sie war meine Gefährtin.“

Und es sind genau diese Aussagen, die im Falle eines Münchhausen-Stellvertreter-Syndroms immer wieder getätigt werden: „Seht her, was ICH alles getan habe, wieviel Geld ICH investiert habe, wie sehr ICH gelitten habe …“. Aber man sollte sich hüten, das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom als Krankheit zu verharmlosen. Es handelt sich um eine schwere psychische Störung, die Täter sind Psychopathen bzw. Soziopathen. Sie nutzen das Leid von Abhängigen, wie Haustieren oder Kindern, um das eigene ICH von der Gemeinschaft bestätigen zu lassen. Reue zeigen die Täter normalerweise nicht.

Der Fall Bretman endete damit, dass der Cocker-Spaniel Florence in ein anderes Zuhause vermittelt wurde. Georgina Bretman wurde von ihrem Arbeitgeber entlassen und das Gericht verurteilte sie „als direkte Alternative zu einer Gefängnisstrafe“ zu 140 Stunden unbezahlter, sozialer Arbeit. Georgina Bretman wurde die Haltung von Tieren für zwei Jahre verboten.

Aber kann das Alles sein? Was ist, wenn solche Personen später doch wieder ein Tier anschaffen. Oder schlimmer: Was ist, wenn solche Personen ein Kind bekommen? An dieser Stelle hilft nur Aufklärung. Und diese sollte sich an die Verwandten und nahen Bekannten der möglichen Täter richten. Nur diese können einschätzen, ob eventuell die Gefahr besteht, dass ein Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom vorliegt.

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